Zuckertraum Theaterpädagogik :

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Wir sind auf der Suche nach dem Heilsversprechen, dem einen, das wirklich stimmt.  Wir alle hoffen doch insgeheim immer noch, dass es auch einfach geht. Dass man nur etwas Zucker über die verbrannte Welt streuen muss und dann kann man sie wieder vorzeigen. Wir alle wissen zwar, dass es (allermeistens) so einfach nicht sein kann, aber wer nicht schon aufgegeben hat, träumt halt des Nachtens im bewusstlosen Zustand trotzdem einen Zuckertraum.
Wenn die Ideale aus Kunst und Pädagogik summiert werden, wird der Zuckertraum vom Heilsweg schnell zum regelrechten Delirium. Dann halluzinieren wir davon, mit einem riesigen Zuckerstreuer in einem Ballon über die Welt zu fliegen, um uns einfach nur zu freuen, wie schön hinterher alles weiß glitzert.
Aber auch wir (Theater-)Pädagog*innen können nicht alle retten - so ungern wir uns das selbst eingestehen. Und ohne die richtigen Bedingungen können wir sogar nur sehr, sehr, sehr wenige für einen sehr, sehr, sehr kurzen Zeitraum „retten“. Wir können nicht an einem Vormittag stark gegen Drogen machen. Wir können nicht in einer Woche einem Kind, das in einem zerstörerischen Umfeld lebt, nachhaltig genug Mut und Selbstwert mitgeben, um in diesem seinen Leben zu bestehen. Wir können nicht in einer uns völlig unbekannten Gruppe in drei Zusammentreffen jedes einzelne Individuum kennenlernen, mit seinen Stärken und Bedürfnissen und Hoffnungen, ein pädagogisches Konzept entwickeln, um jedes einzelne Individuum zu fordern und zu fördern und innerhalb dieser drei Zusammentreffen jenes Konzept final umsetzen.
Mit den Mitteln der Theaterpädagogik ist in der Theorie vieles möglich, vielleicht sogar Heilung einer kaputten Welt. Aber nicht schnell. Nicht mit ein bisschen Zuckerstaub. Nicht alles und jede*n mit einer glitzernden Schicht überdeckend. Nicht alleine.
An einem Vormittag könnten wir den ersten Anstoß geben, neu über Drogenkonsum zu sprechen, wenn dieser Anstoß dann anderweitig weitergeführt wird. Wir könnten ein Kind gegen sein zerstörerisches Umfeld etwas stärker machen, wenn wir über eine sehr lange Zeit und mit anderen positiven Bezugspersonen zusammen dafür arbeiten. Wir könnten in einer Gruppe bestimmte pädagogische Ziele dann sinnvoll verfolgen, wenn das Projekt in direktem Dialog z.B. mit einer Pädagog*in konzipiert wird, die die Gruppe und ihre Bedürfnisse und Hoffnungen gut kennt.
Um die richtigen Bedingungen für eine sinnerfüllte (Theater-)Pädagogik zu schaffen, braucht es vor allem eines: liebevolle Ehrlichkeit. Liebevolle, wertschätzende Ehrlichkeit mit sich selbst und in der Kommunikation mit anderen. Also eben kein süßes Heilsversprechen, sondern ein nie endender, aktiver Prozess, für den wir uns immer wieder neu die passenden Mittel schnitzen müssen.
Selbst damit wird noch immer nicht alles gut, aber unsere Arbeit geht dann immerhin über ein paar homöopathische Schulterklopfer hinaus.

(Anmerkung: Ich habe natürlich die Weisheit auch nicht mir Löffeln gefressen und scheitere selbst oft genug an diesem Ziel. Außerdem bin ich aktuell in der privilegierten Position, nicht jeden Auftrag annehmen zu müssen, um zu überleben. Das macht zumindest die Sache mit der ehrlichen Kommunikation mitunter leichter und ich habe Verständnis für jede*n Kolleg*in, die seine/ihre Prioritäten hier anders setzt.)


Und dann bleibt trotzdem noch die große Frage: Muss Theater(pädagogik) überhaupt so angestrengt irgendwas leisten? Vielleicht reicht es, wenn wir einfach immer wieder neu zusammenkommen und gemeinsam Geschichten erzählen? Wenn wir uns einfach mal auf das Atmen konzentrieren oder Dinge ausprobieren, die wir uns zuletzt mit 12 getraut haben? Wenn wir einfach zwei Stunden zusammen tanzen und quieken, um wieder Kraft für den Alltag zu sammeln? Wenn wir einfach die schiere Freude empfinden, uns selbst neu herauszufordern und uns dafür gegenseitig echte Anerkennung schenken? Wenn wir übergroße weiß glitzernde Welten erfinden?
Oder ist das jetzt schon das Delirium?
Und wenn schon.

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